Amel Lariani - holy shit! ganz oder gar nicht
Blog,  Psychologie

Hinter den Kulissen des Feedbacks

Feed­back war schon immer ein Reiz­wort für mich. Die Bezeich­nung kommt aus der Mecha­nik, genau­er gesagt aus der Kyber­ne­tik. Eine Wis­sen­schaft, die sich mit der Steue­rung und Rege­lung von Maschi­nen befasst. Ana­lo­gien, die aus einem mecha­ni­schen Men­schen­bild her­rüh­ren, sind in unse­rer Wirt­schaft weit ver­brei­tet. In mei­nen Work­shops wer­de ich nicht müde, dar­auf zu ver­wei­sen, dass Feed­back ein hoch­sen­si­bles The­ma sein kann und nicht mit all­ge­mein­gül­ti­gen Regeln anzu­ge­hen ist. Das, was Men­schen tun, ist eben­so sub­jek­tiv bestimmt wie das, was Men­schen rück­mel­den. Zumal Men­schen im beruf­li­chen Kon­text eher sel­ten sagen und tun, was sie wirk­lich den­ken und füh­len. Mir war stets wich­tig, zu ver­deut­li­chen, dass wir unge­be­ten — auch wenn es eine beruf­li­che Vor­ga­be ist — in die Selbst­wahr­neh­mung eines Men­schen ein­grei­fen. Bei einer Rück­mel­dung kann viel in Bewe­gung kom­men, weil unbe­wuss­te und bewuss­te Pro­zes­se aus den unter­schied­lichs­ten Akti­vie­rungs­mus­tern ange­sto­ßen werden.

Ges­tern durf­te ich selbst wie­der einen sol­chen Pro­zess durch­le­ben. Mein Bru­der ist seit Jah­ren mein Spar­rings­part­ner, wenn es um per­sön­li­che oder beruf­li­che Ver­än­de­run­gen geht. Momen­tan steht bei mir eine beruf­li­che und per­sön­li­che Ver­schmel­zung an. Für mich ein bedeut­sa­mer Schritt in Rich­tung Ganz­heit. Erst­ma­lig geht es um mich. Nicht um die Busi­ness Psy­cho­lo­gin, den Coach, die Autorin, son­dern ein­fach nur um mich — Amel Laria­ni. Ich will mich lösen von all den Titeln, Bezeich­nun­gen und allem, was dem anhaf­tet. Der Art und Wei­se, wie ich dadurch gese­hen wer­de und viel­leicht sogar gese­hen wer­den möch­te. Mein Beruf war immer ein wich­ti­ger Teil mei­nes Lebens, ich bli­cke auf vie­le schö­ne und erfüll­te Jah­re zurück. Jetzt will ich kom­plett neue Wege gehen. Zunächst möch­te ich einen Blog und einen You­Tube Chan­nel kre­ieren, ohne Kon­zept. Es soll ein­fach im Pro­zess ent­ste­hen, was ent­ste­hen will. In den letz­ten Jah­ren habe ich bereits viel ver­öf­fent­licht, den­noch for­dert mich das Schrei­ben eines Blog­bei­tra­ges, der mich im Kern wider­spie­gelt, her­aus. Fach­ar­ti­kel und ‑bücher zu schrei­ben, ist etwas kom­plett ande­res. Wie ich mich mit einem The­ma befas­se, wel­che Kern­aus­sa­ge ich ver­mit­teln will, alles das läuft fast auto­ma­ti­siert. Es geht mir leicht von der Hand. Ver­gleich­bar mit einem Fluss­beet, das nach und nach aus­ge­ho­ben wird. Die jewei­li­gen Inhal­te sind das Was­ser, die in das Beet gelei­tet wer­den bis sie in einen geschmei­di­gen Fluss kommen.

Wer schon Mal ver­sucht hat, eine Gewohn­heit zu ver­än­dern, kann sich vor­stel­len, was ich gera­de beim Schrei­ben mei­nes ers­ten Blog­ar­ti­kels erle­be. Umge­ben von gefühlt 100 Fach­bü­chern schla­ge ich nach, was ich eigent­lich sagen will und wer dazu bereits etwas Inter­es­san­tes gesagt hat. Mei­ne Vor­ge­hens­wei­se ist die glei­che, doch die Rah­men­be­din­gun­gen haben sich ver­än­dert. Tota­ler Irr­sinn nach­zu­schla­gen, was ein bekann­ter Phi­lo­soph gesagt hat, wenn es dar­um geht, mei­ner eige­nen Stim­me Aus­druck zu ver­lei­hen. Mein ers­ter Blog­ar­ti­kel hat mich vier Tage beschäf­tigt, jedes Mal war ein wenig mehr von mir zu sehen. Als ich das Gefühl hat­te, das bin ich, habe ich den Arti­kel an zwei Per­so­nen, die mir sehr nahe­ste­hen, ver­sen­det. Schon beim Ver­sen­den war ich leicht ner­vös, weil ich viel mehr öffent­lich von mir Preis gege­ben habe, als ich es sonst tue. In die­sen Pha­sen des Wan­dels füh­le ich mich wie eine offe­ne Fleisch­wun­de. Die kleins­te Bri­se Salz hat Tiefenwirkung.

Nach den ers­ten posi­ti­ven Rück­mel­dun­gen wur­de ich etwas muti­ger und las den Arti­kel drei wei­te­ren Men­schen vor und auch sie reagier­ten durch­aus ange­tan. Wur­zel­los beflü­gelt, mal­te ich mir in den schöns­ten Far­ben mein ers­tes You­Tube Video aus. Emo­tio­nal vor­ge­tra­gen, mit­ten in der Natur. Ja, das fühl­te sich rich­tig gut an. Ich war mir sicher, mei­nen Weg gefun­den zu haben. Die­se Sicher­heit ver­flog über Nacht und mach­te einer lei­sen Ahnung Platz, dass es das immer noch nicht ist. Ich fühl­te in mich, war es mein per­fek­tio­nis­ti­scher Selbst­an­spruch, der mich her­aus­for­der­te oder doch etwas ganz ande­res? Den gan­zen Tag schob ich lust­los mei­nen Arti­kel und mei­ne Gedan­ken vor mir her. Bis die Gedan­ken, der strah­len­den Son­ne zum Trotz, mei­ne Stim­mung düs­ter ein­färb­ten. Da ich nicht woll­te, dass mei­ne Stim­mung auf mei­ne Mit­men­schen über­schwappt, ver­kroch ich mich in mei­nem Bett. „Ein klei­nes Schläf­chen, dann siehst du wie­der klar!“, hör­te ich mich sagen. Gera­de als ich mir das Kis­sen unter mei­nem Kopf zurecht­rück­te, klin­gel­te das Tele­fon. Mein Bru­der. Das war kein guter Zeit­punkt, ich beschloss ihn spä­ter zurückzurufen.

Nach einem tie­fen, erhol­sa­men Schlaf wähl­te ich sei­ne Num­mer. Wir tausch­ten uns über eines sei­ner Pro­jek­te aus. Mei­ne Stim­mung hob sich zuneh­mend und dann pur­zel­ten die Wor­te ein­fach so aus mei­nem Mund her­aus „Magst du, dass ich dir mei­nen ers­ten Blog­ar­ti­kel vor­le­se?“ Mein Bru­der ent­schied sich ihn erst Mal selbst lesen zu wol­len. Noch wäh­rend er sprach spür­te ich die stei­gen­de Anspan­nung in mei­nem Kör­per. Sei­ne Mei­nung ist mir sehr wich­tig. Wenn nicht sogar am wich­tigs­ten. Er for­dert mich, kon­fron­tiert mich mit mei­ner Inten­ti­on und ist dabei unver­blümt in sei­ner Wort­wahl. Mir wur­de etwas flau, weil ich bereits ahn­te, dass ich nicht die Rück­mel­dung erhal­ten wer­de, die ich mir ersehnte.

Ich weiß, dass ich sehr gute Arbeit ablie­fe­re, schließ­lich bin ich selbst mein här­tes­ter Kri­ti­ker. Es war nie gut genug, bis es per­fekt war. Doch unter all die­sem Per­fek­tio­nis­mus bleibt das Gefühl anhaf­ten, ein Gefühl, dass mich immer noch in Erin­ne­rung an prä­gen­de Zei­ten ein­holt. Die Schuld! Kein Gefühl sucht sich den Inhalt aus, die inten­si­ven Gefüh­le wer­den durch einen Reiz aus­ge­löst und durch­wan­dern unse­ren Kör­per wie ein aus­ge­bau­tes Fluss­bett. Gefüh­le sind nicht zu ver­wech­seln mit Emo­tio­nen, sie ent­ste­hen nur, wenn unser Gehirn die Regun­gen unse­res Kör­pers wahr­nimmt und interpretiert.

Über die Jah­re Selbst­be­ob­ach­tung habe ich ein sehr gutes Kör­per­be­wusst­sein ent­wi­ckelt und kann die Zusam­men­hän­ge in mir bis in ihren Ursprung ver­ste­hen. Die­ses Ver­ste­hen hilft mir das Feed­back mei­nes Bru­ders nicht auf ihn zu pro­ji­zie­ren. Als er mich anrief, fing er direkt mit einer Kri­tik an. Bei allem Ver­ste­hen spür­te ich, wie sich Fäus­te in mir bereit zum Kampf mach­ten, um mein Werk zu ver­tei­di­gen. Wider­stand bau­te sich in mir auf, obwohl ich den Umgang mit Feed­back gelernt und gelehrt habe und noch dazu weiß, dass der alte Glau­bens­satz „Ich bin nicht gut genug“ mich von Zeit zu Zeit heim­sucht. Zudem will ich sein Feed­back, weil es in mei­nem Inter­es­se ist. Ich will immer­hin an den Her­aus­for­de­run­gen wach­sen und den­noch habe ich inner­lich die Fäus­te geballt, um mei­nen Selbst­wert zu ver­tei­di­gen. Bereit in den Ring zu stei­gen, tän­zel­te ich inner­lich auf­for­dernd hin und her.

Run­de 1: Mit raus­ge­streck­tem Kinn frag­te ich gereizt „Hast du nur die­se Kri­tik? Wie hat dir der Rest gefal­len?“ Nach einem lang­ge­zo­ge­nen „es war ok“ spür­te ich wie jedes sei­ner Wor­te mei­nen Ärger ein Stück wei­ter in den Nacken hoch­push­te. Mei­ne Kör­per­hal­tung ver­spann­te sich im Nacken-Schul­ter-Bereich und auch wenn ich ihn nicht sah, bäum­te er sich in Über­grö­ße vor mir auf. Gefühlt blick­te er lächelnd auf mich her­ab, tät­schel­te mir über den Kopf als wol­le er sagen: „Zu mehr hat es lei­der nicht gereicht.“

Run­de 2: Mein Innen­le­ben hat­te sich ver­selbst­stän­digt, um es im Zaum zu hal­ten, bau­te ich eine Blo­cka­de auf. Wäh­rend­des­sen ver­such­te mein Bru­der mir zu erklä­ren, was ihm fehl­te. Wie ein Schwall aus zusam­men­hang­lo­sen Wor­ten prall­ten sei­ne Bemü­hun­gen an mei­ner Blo­cka­de ab. Ich hör­te mich stets ruhig mit einem leicht gereiz­ten Unter­ton wie­der­ho­len: „Ver­ste­he ich nicht. Was meinst du damit konkret?!“

Run­de 3: Sei­ne ruhi­ge Art mich immer wie­der abzu­ho­len und mir auf unter­schied­li­che Wei­se zu erklä­ren, was er genau meint, nahm der bedroh­li­chen Situa­ti­on ihre Bril­le. Die Anspan­nung lös­te sich, mein Ärger floss ab, all­mäh­lich öff­ne­ten sich mei­ne ver­eng­ten Gefä­ße und Gedan­ken. Sei­ne Wor­te began­nen durch die Blo­cka­den an mich her­an­zu­drin­gen. Mein Kör­per und Geist wur­den durch­läs­sig, bereit, sei­ne Argu­men­te auf­zu­neh­men, ver­än­der­te sich mei­ne Haltung.

Run­de 4: Ich hör­te, was er sag­te, konn­te es nicht begrei­fen und bat um ein kon­kre­tes Bei­spiel. Wir arbei­te­ten uns lang­sam zuein­an­der vor, bis ich ein Gefühl für sein Anlie­gen ent­wi­ckel­te. Das hör­te sich alles sin­nig an, ein leich­tes Scham­ge­fühl zog durch mich durch. An die­ser Stel­le war es mir wich­tig, mei­nem Bru­der mei­nen inne­ren Pro­zess kurz zu schil­dern, mich für sei­ne Geduld und die wert­vol­len Impul­se zu bedanken.

Die­ses Gespräch dau­er­te höchs­tens zwan­zig Minu­ten. Es gab Zei­ten, da hät­te es rich­tig geknallt, es wäre per­sön­lich gewor­den und auch ver­let­zend. Jeder von uns hät­te sich zurück­ge­zo­gen, um dann mit neu­en Erkennt­nis­sen wie­der auf­ein­an­der zuzu­ge­hen. Feed­back beinhal­tet für mich auch das Bewusst­sein, sei­ne Gefüh­le zu erken­nen, den Kon­text zu ver­ste­hen, in dem sie ent­stan­den sind und sie in der Situa­ti­on ange­mes­sen aus­zu­drü­cken. Mein Gegen­über, in dem Fall mein Bru­der, ist Teil mei­nes emo­tio­na­len Pro­zes­ses. Auch wenn mei­ne Reak­ti­on einen ganz ande­ren Ursprung hat und sie ratio­nal betrach­tet nichts mit die­ser Situa­ti­on zu tun hat, spielt sie mit rein. Gera­de tip­pe ich die letz­ten Zei­len, durch­drun­gen mit einem Lächeln, das von Her­zen kommt. Ich wer­fe einen Blick zurück in mei­ne Erin­ne­rung und spü­re, wie die Wun­de sich schließt. Viel­leicht ist genau das mei­ne Stär­ke. Dass ich ver­wund­bar bin. Dass ich die­ses Gefühl immer wie­der zulas­se, dar­an wach­se wie eine Ker­ze, die im Som­mer­licht schmilzt und eine neue Form annimmt.

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